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Laufen für den Lauf der Welt - rituelle Läufe auf dem Weltfestival der Sportkulturen
DIE KOLUMNE ZUM MITTWOCH
11.07.2000
Vom 19.- bis 25. 6. 2000 erlebte Hannover ein Sportfestival der anderen Art:Es ging nicht um Meter und Sekunden, nicht um Medaillen und Rekorde, sondern
um Zuschauen und Mitmachen. 800 Aktive aus 40 Nationen, zahlreiche Hannoveraner/
innen und auch viele EXPO-Besucher/innen wurden in die Vergangenheit und in die
bunte Welt fremder Kulturen entführt, sie erlebten auf dem 3. Weltfestival der
Sportkulturen vielfältige Spiele, Tänze und Bewegungskünste, die trotz oder
gerade wegen ihrer Wurzeln in der Tradition faszinierend waren. Der Bogen der
Bewegungsaktivitäten reichte vom Goaßlschnölln (Österreich), über den Lion
Dance (China) und Lacrosse (Kanada) bis zum Federfußball (Singapur). Der
Landessportbund Berlin und der Berliner Turnerbund hatten eine Delegation
entsandt, die in traditioneller Turntracht verschiedene Turnspiele aus dem
19. Jahrhundert vorführte. All denen, die mitspielen wollten, stellten die
Berliner die im Berliner Spielbüchlein abgedruckten Spielregeln zur Verfügung.
Wer sich überzeugen möchte, daß alte Spiele viel Spaß machen können, sollte
sich das Spielbüchlein beim Landessportbund Berlin besorgen.
Bei der abschließenden Gala des Weltfestivals wurden zehn Spiele
bzw.
Sportarten prämiert und als Teil des Weltkulturerbes deklariert. Zu
diesen
Sportarten mit besonders hohem kulturellem Wert gehörte auch ein
ursprünglich
ritueller Lauf, der Carrera de la Bola der Tarahumara aus Mexiko. Die
Tarahumara verfügen über ausgezeichnete Läufer, angeblich
können sie fast
300 km ohne Unterbrechung im Dauerlauf zurücklegen. Verbreitet sind
Wettkämpfe
zwischen zwei Mannschaften, die über Distanzen zwischen 5 und 23 km
gegeneinander
antreten. Typisch ist, daß sie während des Laufens einen 6 cm dicken
Holzball
mit den Füßen vorwärts treiben. Diesem Ball wurden magische
Wirkungen auf die
Geschwindigkeit und Ausdauer der Läufer zugeschrieben.
Große körperliche Leistungsfähigkeit erforderten auch die
"Klotzläufe", die bei
indianischen Stämmen, u.a. bei den Timbira oder den Canela in
Brasilien,
verbreitet sind. Beim Klotzrennen treten ebenfalls zwei Teams gegeneinander
an,
die dabei ca. 10 bis 12 km zurücklegen und dabei einen Klotz von ca. 100
kg
mitschleppen. Dieser Klotz wird während des Laufes von einem an den
nächsten
Läufer übergeben, um dann am Ziel, dem Dorfplatz, abgeworfen zu
werden. Auch
Frauen und Mädchen legen laufend lange Strecken zurück, sie tragen
ebenfalls
Klötze, die allerdings etwas leichter sind als die der Läufer.
Die Klotzläufe sind Teil der Festkultur des Stammes, sie haben neben
dem
physischen Training vielfältige soziale Funktionen. So fördert die
Identi-
fizierung mit den Läufern und Läuferinnen den sozialen Zusammenhalt
der
Gruppe. Außerdem werden den Klotzläufen rituelle, kultische und
magische
Wirkungen zugeschrieben. Möglicherweise sollen solche Läufe den Lauf
der
Sonne symbolisieren und damit den Fortbestand der Welt garantieren.
Ob die Tarahumara-Läufer in Hannover für das meist schöne
Wetter verant-
wortlich waren, weiß ich nicht, sie trugen aber sicherlich zum
Gelingen
dieses faszinierenden Sportereignisses bei.
Gertrud Pfister
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